Beitragvon Läufer » 17. November 2019, 17:37
Hallo Annika,
danke für den Hinweis. Ich versuche mal aus meiner Sicht Stellung dazu zu nehmen.
Was soll man von so einer Kritik halten, wenn jemand fragt wie man Menschen mit Diabetes eine fetthaltige Ernährung empfehlen kann. Ich glaube die Antwort können die Erfahrenen hier im Forum doch selbst geben. Das ist doch bei allen anderen Problemen hier im Forum das Gleiche. Natürlich ist LCHF nicht für jeden die Lösung aber es gibt doch genügend Menschen hier, denen LCHF deutlich geholfen hat.
Wir LCHFler kennen das ja alle, nämlich dass es beim Thema Ernährung sehr schnell dogmatisch wird und oft nur schwarz oder weiß anerkannt wird. Alle Farbabstufungen dazwischen gehen gar nicht.
Ich sehe mich als Pragmatiker, der die Tools benutzt die ihm helfen und die Tools weglässt, die nicht helfen.
So ist es auch unter Menschen mit Diabetes so, dass jeder seinen eigenen Weg finden muss seinen Diabetes entsprechend zu behandeln. Insbesondere beim Typ 1 Diabetes sagt man ja, dass man alles essen könne, weil man ja nicht Insulinresistent sei wie beim Typ 2 Diabetes. Zumindest in der Theorie. In der Praxis leben viele Menschen mit Typ 1 Diabetes wohl irgendwo auch mit einen Typ 2 Diabetes bzw. einer Insulinresistenz. Warum sollte man da auch ausgenommen sein. Ein Typ 1 Diabetes verhindert ja nicht, dass man auch noch einen Typ 2 zusätzlich haben kann.
Was ich damit sagen will, es kann dann schon Sinn machen, auch als Mensch mit Typ 1 nicht nur das Insulin als Therapiebestandteil zu sehen sondern auch die beiden anderen Faktoren, mit denen ich meinen Glukosespiegel direkt beeinflussen kann. Nämlich die Ernährung und die Bewegung.
Meiner Erfahrung nach macht eine LCHF Ernährung sehr schöne Blutzuckerkurven. Damit sage ich nicht, dass Fett und Protein nicht blutzuckerwirksam sind. Aber es diese Makronährstoffe werden weitaus langsamer verstoffwechselt als Kohlenhydrate. Selbst wenn diese in Form von Vollkornprodukten zugeführt werden. Die Art und Weise, wie wir unser Insulin zuführen läuft halt deutlich langsamer ab als bei stoffwechselgesunden Menschen.
Während bei diesen die Bauchspeicheldrüse das Insulin direkt in die Pfortader abgibt, also in den Leberblutkreislauf, spritzt man als Mensch mit Diabetes das Insulin in das Unterhautfettgewebe, von wo aus es erst aufgeschlossen und in den Blutkreislauf eingeschleust werden muss. Das fatale daran, was mal gespritzt wurde entfaltet auch seine Wirkung. Die gesunde Bauchspeicheldrüse ist da wesentlich reaktiver und dosiert je nach Glukoseanstieg just in time nach. Deshalb ist es auch schwieriger den Glukoseverlauf nach Kohlenhydratbetonten Mahlzeiten flach zu halten. Das Timing ist nicht immer so einfach. Man muss mit ausreichendem Zeitpuffer spritzen, darf aber nicht überdosieren, weil man sonst Gefahr läuft zu unterzuckern. Aber irgendwie schweife ich jetzt ab.
Ich bin kein Wissenschaftler aber es ist nicht nur beim Insulin so, dass man resistent wird gegen Dinge, die im Überfluss da sind. Wenn also zu viel Insulin im Blut ist, wird man dagegen resistent. Das ist beim Typ 2 Diabetes so und funktioniert genau so beim Typ 1 Diabetes. Also kann alles, was eine hohe Insulinantwort erfordert insulinresistent machen. Ob das nun Kohlenhydrate, Fette oder Proteine sind ist zunächst egal.
Insofern kann es schon sein, dass es Menschen gibt, die durch viel Fett viel Insulin spritzen müssen und dadurch resistent werden. Ich möchte auch nicht behaupten, dass ich ein umfassendes Wissen darüber habe und wenn jemand solche Erfahrungen gemacht hat, dann kann ich dem nicht widersprechen.
Meine eigene Erfahrung ist jedoch die, dass Kohlenhydrate die höchste Insulinantwort erfordern und somit auch mehr Potential haben eine Insulinresistenz auszulösen. So steht es z.b. auch bei Dr. Fung geschrieben.
Ich habe wesentlich weniger Insulin benötigt, wenn ich LCHF gegessen habe und somit war LCHF mein Mittel der Wahl, wenn es darum ging Insulinresistenz zu reduzieren.
Ich wage mir gar nicht auszumalen, was passieren würde, wenn ich 300-500g Kohlenhydrate am Tag zu mir nehmen würde. Das wären ja bereits 1200-2000 kcal am Tag nur aus Kohlenhydraten. Das hat auch mit einer ausgewogenen Ernährung nichts zu tun.
Dass man für eingenomme Kohlenhydrate kein Insulin spritzen muss kann ich mir nicht vorstellen. Es sei denn man tut dies im Zusammenhang mit Sport oder anderer körperlicher Anstrengung oder man hat diese Kohlenhydrate in einer falsch abgestimmten Basalrate abgedeckt, die ohne diese KH zur Unterzuckerung führen würde.
Zu den angesprochenen hohen Werten. Es hat grundsätzlich nichts damit zu tun ob man eine Insulinpumpe trägt oder sein Insulin per Pen spritzt. Das Mahlzeiteninsulin wird bei der Pumpe manuell gespritzt, ebenso wie man es mit dem Pen spritzt. Auch die Dosis wird manuell oder mit Hilfe eines Bolusassistenten errechnet. Die Höhe der Dosis hat nichts mit der Pumpe oder dem Pen zu tun.
Der entscheidende Unterschied ist folgender. Mit dem Pen spritzt man üblicherweise 1x oder 2x am Tag ein langsam wirkendes Basalinsulin in einer festgelegten Dosis und man versucht somit die Wirkkurven des Insulins so zu positionieren, dass damit der basale Insulinbedarf möglichst gut abgedeckt wird. Wenn man sich den basalen Insulinbedarf und die Wirkkurven der Insuline anschaut, stellt man fest, dass das immer nur ein Kompromiss ist und dass das wenig flexibel ist. Deshalb nutzt man eine Insulinpumpe, der man für jede Stunde den benötigten basalen Insulinbedarf einprogrammiert und die Pumpe versorgt einen dann mit einem schnell wirksamen Insulin in der optimal abgestimmten Menge. Da es sich um ein schnell wirksames Insulin handelt ist man damit flexibel, wenn man z.B. mal Sport machen möchte. Dann kann man die Basalinsulinzufuhr nämlich temporär reduzieren. Ein am Morgen gespritztes Basalinsulin ist im Körper aktiv und tut sein Werk. Man müsste dann beim Sport u. U. zusätzlich essen, was man aber meistens gar nicht möchte. Mit der Pumpe macht man einfach eine temporäre Anpassung.
Das Mahlzeiteninsulin hat damit zunächst nichts zu tun, außer vielleicht, dass bei vielen Pumpenträgern aufgrund eines recht fixen Ernährungsverhalten Mahlzeiteninsulin fälschlicherweise in der Basaldosis steckt. Oder anders ausgedrückt, eine basale Insulinversorgung sollte immer so ausgelegt sein, dass man ohne Nahrungsaufnahme einen gleichbleibenden Blutzuckerspiegel hat. Das ist mit der Insulinpumpe leichter und exakter zu erreichen. Ob das Mahlzeiteninsulin nun per Pen oder per Pumpe injiziert wird ist im Endeffekt unerheblich im Hinblick auf hohe Blutzuckerwerte.
Zur Aussage „Wenn er so hohe Werte bei der Mischkost hatte, war er einfach nicht richtig eingestellt“.
Das Wort Einstellung mag ich eigentlich gar nicht. Das suggeriert nämlich, dass wir jeden Tag absolut gleich funktionieren und jeden Tag exakt das gleiche passiert.
Wenn man sich mal die Formel zu Insulindosisberechnung anschaut sieht das für den Laien zunächst so aus, als wäre das kompliziert. Im Grunde genommen ist es aber nichts als eine sehr grobe Vereinfachung eines sehr komplexen Zusammenhangs und wenn man sich näher damit beschäftigt weiß man, dass das zwar für den täglichen Bedarf eine hinreichend genaue Weise ist die Insulindosis zu berechnen, man aber sehr viele Einflussfaktoren schlichtweg nicht berücksichtigen kann. Egal wie gut meine Basalrate ermittelt wurde, egal wie exakt ich meine Korrekturfaktoren und Bolusfaktoren ermittelt habe. Am Ende bleiben so viele Unbekannte übrig, dass man auch schon mal in der Dosierung daneben liegen kann.
Man geht immer davon aus, dass die Nährwerte immer exakt so sind wie in Tabellen oder auf Verpackungen angegeben. Das sind aber einmal ermittelte Durchschnittsangaben, die auch mal deutlich anders sein können. Z.B. wiegt ein Brötchen vom Bäcker frisch gekauft am Samstagmorgen 65g. Ich habe mir mal den Spaß gemacht dasselbe Brötchen am Sonntagmorgen wieder zu wiegen und siehe da, es war 12g leichter obwohl noch die gleiche Menge KH drin war und sich nur Wasser verflüchtigt hatte. Bei der Insulinberechnung würde man aber das Gewicht heranziehen.
Es ist auch nicht gesagt, dass die KH jeden Tag exakt gleich im Darm resorbiert werden. Das gleiche gilt für die Insulinresorption. Dazu kommt dass das Insulin nur eines von den vielen Hormonen im Körper ist deren komplexes Zusammenspiel wir mit unserer einfachen Formel gar nicht erfassen können.
Deshalb ist der Begriff Einstellung für mich nicht passend. Natürlich muss man eine gewisse „Grundeinstellung“ haben aber der Organismus unterliegt einer gewissen Dynamik so dass Ausreißer in den Werten durchaus passieren können.
Nun noch zum Faktor Leben. Es mag Menschen mit Diabetes geben, die sich immer so diszipliniert im Griff haben und ohne Fehl und Tadel ihren Blutzucker im Griff halten. Das muss jeder für sich entscheiden. Tatsache ist aber, dass auch bei stoffwechselgesunden Menschen der Blutzucker nach dem Essen ansteigt. Nicht auf 300er Werte aber eben auch nicht flach. Mit LCHF ist es übrigens viel einfacher das zu erreichen.
Letztlich bin ich aber nicht nur Mensch mit Diabetes. Ich schreibe auch gar nicht mehr Diabetiker sondern bewusst Mensch mit Diabetes. Ich lebe noch und wenn das Leben mir schöne Momente vor die Füße kickt, nehme ich die wahr und bin bereit zu genießen. Das Leben einfach auch mal zu genießen. Ich bin überzeugt das ist auch gesund. Dafür nehme ich auch mal hohe Werte in Kauf.
Die Ergebnisse geben mir recht. Seit 2 Jahren alle HbA1cs zwischen 5,3% und 5,7% ohne relevante Unterzuckerungen und alle anderen Blutwerte i.O.
So falsch kann das also nicht sein.
Annika, lass dich nicht verunsichern. Es gibt immer und überall Menschen die manches nicht wahrhaben wollen. Denen muss man ihren Glauben lassen, unsere Erfahrungen hier bei LCHF sind doch eine stabile Basis. Damit möchte ich nicht ausschließen, dass es nicht tatsächlich Menschen gibt, bei denen andere Lösungen besser funktionieren. Ich halte es durchaus für möglich, dass es bei der Person, die die Kritik übt, so funktioniert wie sie es beschreibt aber ich weiß genau, dass das bei mir so nicht funktionieren würde.
Au Backe, jetzt ist es doch lang geworden und hoffentlich nicht zu wirr. Wenn ich mir mehr Zeit genommen hätte es zu entwirren wäre es noch länger geworden.
Euch allen einen schönen Restsonntag
VG Stefan

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